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Kampf für Menschenrechte auf Weltniveau – Happy Birthday Theresia Degener

Prof. Dr. Theresia Degener
Prof. Dr. Theresia Degener von BODYS
Foto: BODYS

Berlin/Erlangen/Schwelm (kobinet) Kaum jemand hat von Deutschland aus die internationale Behindertenpolitik so geprägt, wie Prof. Dr. Theresia Degener. Vor allem hat die renommierte Juristin entscheidend dazu beigetragen, dass diese als Menschenrechtspolitik verstanden und von den Vereinten Nationen auch so gehandhabt wird. Dass sie dabei nie die Tuchfühlung zur Behindertenbewegung verloren hat, zeigen die beiden Berichte von Dinah Radtke, die mit Theresia Degener bei vielen internationalen Treffen für die UN-Behindertenrechtskonvention gekämpft hat, und vom Hobby-Chronisten der kobinet-nachrichten Dr. Martin Theben. Heute, am 10. April kann Theresia Degener ihren 60. Geburtstags feiern, zu dem ihr die Redaktion der kobinet-nachrichten herzlich gratuliert.

Theresia Degener (* 10. April 1961 in Altenberge) ist eine deutsche Juristin und Professorin für Recht und Disability Studies an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Sie ist eine Aktivistin der bundesdeutschen Behindertenbewegung. 1981 war sie maßgeblich an der Durchführung des Krüppeltribunals beteiligt, in den Jahren nach 2001 als unabhängige Juristin und Vertreterin Deutschlands an der Ausarbeitung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Sie war seit 2011 Mitglied und die Vorsitzende des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2016 bis 2018″, heißt es im Wikipedia-Eintrag zum Leben und Wirken von Prof. Dr. Theresia Degener.

Link zum Wikipedia-Eintrag zu Theresia Degener

Hinter dieser Kurzbeschreibung verbirgt sich ein von sehr vielen Menschen sehr geschätzter Mensch. Wo Theresia Degener dabei war, hat sie große Fußspuren hinterlassen und viele Freund*innen gefunden. Im Umgang sehr nett und freundlich, in der Sache stets klar und zielgerichtet, so haben sie viele erleben dürfen und so hat sie auch schon früh in der Behindertenbewegung und -politik Akzente gesetzt. Wären wir nicht mitten in der Corona-Pandemie würde sie ihren heutigen runden Geburtstag sicherlich mit vielen Freund*innen, ihrer Familie und Weggefährt*innen feiern, so wie ihren 50. Geburtstag auch. So bleiben viele Glückwünsche aus der Ferne und zwei Erinnerungen, die wir aufgreifen.

Dinah Radtke, die viele Jahre im Vorstand von Disabled Peoples‘ International aktiv war und die Entwicklung der UN-Behindertenrechtskonvention oftmals zusammen mit Theresia Degener geprägt hat, hat folgende zwei Erinnerungen an die kobinet-nachrichten geschickt, die zeigen, wie unkompliziert Theresia Degener sein kann. Sie schreibt:

„Theresia ist wohl eine der herausragendsten und wichtigsten Persönlichkeiten der Behindertenbewegung, auch international, die viel für uns erreicht hat. Früher, als die Zeiten für uns noch viel aufregender waren und wir dauernd aktiv sein mussten, um nur ja keine Chancen des Protests oder anderer politischer Möglichkeiten zu verpassen, um voranzukommen mit Selbstbestimmung, Chancengleichheit und Wahrung von Menschenrechten, haben wir uns öfter gesehen. Ich will nur kurz zwei ganz besondere Ereignisse mit Theresia schildern, die ich wohl nie vergessen werde.

1. Vor vielen, vielen Jahren war Theresia bei mir mit anderen zu Gast. Sie lehnte lässig im Türrahmen als der Freund meiner Nichte auf sie zuging, die Hand ausstreckte und sagte: „ich bin der Kaspar“. Worauf Theresia trocken erwiderte: „kannst deine Hand ruhig wegtun. Ich habe keine Arme und ich bin die Theresia“. Kaspar hatte dies im Halbdunkel nicht bemerkt und war dann völlig fertig mit den Nerven.

2. Auf dem Weltkongress von Disabled Peoples‘ International (DPI) 2003 – oder so – mit ca 2.000 Besucher*innen reiste Theresia mit ihrem kleinen Sohn Franz, der damals noch ein Säugling war, nach Japan. Sie trug Franz in einer Babytragetasche um den Hals. Das erregte großes Aufsehen und die Japaner*innen starrten unverhohlen in ihre Richtung. Als sie später Franz stillen wollte, bat sie ihre Freund*innen einen Kreis um sie zu machen, damit sie sich einigermaßen ohne neugierige Augen ihrem Kind widmen konnte. Ich bewunderte es sehr, dass Theresia ihre Kinder, so oft es ging, bei sich haben wollte, obwohl die Umstände manchmal schon schwierig waren.

Für die Zukunft wünsche ich Theresia alles erdenklich Gute und viel Freude mit ihrer Familie, ihren Freundinnen und Freunden und mit allen Aktivist*innen aus der Behindertenbewegung!

Auch der Hobby-Chronist der kobinet-nachrichten Dr. Martin Theben hat in den Archiven einiges zum frühen Wirken von Theresia Degener in der Behindertenbewegung gefunden, das er uns in folgendem Beitrag zur Verfügung stellt.

Bericht von Dr. Martin Theben

Eine junge Frau steht auf einer Bühne stampft mit dem Fuss auf und intoniert mit anderen gemeinsam das Protestlied zum UNO-Jahr der Behinderten 1981 (Wehrt Euch! Leistet Widerstand! Gegen dieses UNO-Jahr im Land. Schließt Euch fest zusammen; nach der Melodie von Spann den Wagen an…. ).Theresia Degener hat gerade mit vielen anderen Menschen, die sich selbst als Krüppel bezeichneten, die offizielle Eröffnungsveranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle gesprengt. Bundespräsident Karl Carstens konnte seine Rede nicht halten und musste in eine Nebenhalle ausweichen. Dies alles ist in Wolfram Deutschmanns Film „Lieber arm dran als Arm ab“ für die Ewigkeit auf Zelluloid gebannt. Die Proteste in Dortmund sind nur der Anfang. Am Schluss des dann doch nicht als reines Jubelfest selbsternannter Fachleute begangenen „Jahr der Behinderer“ fand dann am 12. und 13. Dezember wiederum in Dortmund das von Theresia Degener maßgeblich mitorganisierte und durchgeführte Krüppeltribunal statt. Auch dank ihr wurden dort – wie schon auf dem alternativen Gesundheitstag im Oktober des gleichen Jahres – die besonderen Probleme von Frauen mit Behinderung thematisiert.

In Didi Danquarts Film „Der Pannwitzblick“ 10 Jahre später berichtet sie zuweilen sichtlich bewegt über ihre Kindheitserfahrungen als – wie es damals hieß – Contergangeschädigte. Unterlegt von entsetzlichen Bildaufnahmen beschreibt sie den Versuch der Ärzte, Therapeuten und Prothesenbauer einen Menschen mit künstlichen Gliedmaßen und entwürdigenden Übungen auf Normalmaß zu stutzen. Damals, so berichtet Theresia Degener in dem Film, habe sie erstmals begonnen, Widerstand zu leisten. Im Jahre 1991, wie schon beim berüchtigten Krüppelschlag Franz Christophs zehn Jahre zuvor, ist wieder die Reha-Messe in Düsseldorf Ort des Geschehens. Theresia Degener soll als Referentin an einer Diskussionsrunde zum Thema „Behinderte Frauen und Frauenbewegung“ teilnehmen. Nichtbehinderte Vertreterinnen eben der Frauenbewegung sucht man auf dem Podium aber vergeblich. Stattdessen trifft Theresia Degener auf eine Redakteurin der populären Frauenzeitschrift FREUNDIN und eine Humangenetikerin. Beiden wirft sie deutlich deren Anteil an der Reproduktion genormter Menschenbilder vor. Die so gescholtenen verlassen das Podium. Dies alles ist nachzulesen in der Zeitung für Behindertenpolitik DIE RANDSCHAU 1/92. Der Lesende erfährt dort auch, dass sich Theresia Degener wegen ihres Auftritts kurzzeitig den Ärger Sigrid Arnades zuzog, die damals für den Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter die Veranstaltung organisiert hatte. Nicht viel später zogen aber beide am gleichen Strang und kämpften gemeinsam für inklusivere Verhältnisse.

Schließlich 2019 im Interview mit dem Aktivisten Raul Krauthausen für LEITMEDIEN.DE. Sehr souverän berichtet dort die Professorin für Recht und Disability Studies an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe über ihren Weg von der Frauen- zur Menschenrechtskämpferin und ihr Engagement für die UN-Behindertenrechtskonvention. Für die Bundesrepublik Deutschland war Theresia Degener maßgeblich an den Verhandlungen der Ad-hoc-Kommission beteiligt. Sie gehörte, zeitweilig als dessen Vorsitzende, dem entsprechenden UN-Fachausschuss an. Am 4. Oktober 2006 verlieh ihr Bundespräsident Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz.

Ausschnitte eines Lebens durch das sich wie ein roter Faden der Kampf gegen den Terror der Normen zieht. 2013 auf der ersten Pride Parade von Menschen mit und ohne Behinderungen in Berlin versetzte Theresia Degener diesem Normenterror symbolisch einen gezielten Fußtritt. Seit einem ihrer ersten Fußstampfer 1981 in Dortmund löste sie behinderten- und menschenrechtspolitische Erschütterungen aus, die tradierte Normen zerbrechen halfen und führte die bundesdeutsche Behindertenpolitik auf Weltniveau.

DANKE UND HAPPY BIRTHDAY LIEBE THERESIA!

Hier eine Liste der Verweise zu diesem Bericht:

lieber arm dran als arm ab – Widerstand 1981 gegen das Jahr der Behinderten – YouTube

Der Pannwitzblick (1991) – Der vernichtende Blick auf behinderte Menschen – YouTube

Disablity and Mad Pride Parade Berlin 2013 – YouTube

Leidmedien im Gespräch mit Theresia Degener – YouTube

1-1-1992_(08-01-2020_22-37-32).pdf (archiv-behindertenbewegung.org) S. 16ff