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LSG Niedersachsen-Bremen urteilt: kein sozialwidriges Verhalten eines Beziehers von Grundsicherung

Goldene Statue Justitia mit Schwert und Waage
Justitia
Foto: Sang Hyun Cho auf Pixabay

Greifswald (kobinet) Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat in einem Urteil von Januar 2023 entschieden, dass kein sozialwidriges Verhalten vorliegt, wenn der Betroffene zwar eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt, er dabei aber vom Jobcenter "allein gelassen" und ihm die dafür erforderliche Hilfe nicht geleistet wird. Über diese Entscheidung berichtet Henry Spradau in folgendem Bericht für die kobinet-nachrichten.

Bericht von Henry Spradau

LSG Niedersachsen-Bremen urteilt: kein sozialwidriges Verhalten eines Beziehers von Grundsicherung

Das LSG hat in einem Urteil von Januar 2023 entschieden, dass kein sozialwidriges Verhalten vorliegt, wenn der Betroffene zwar eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt, er dabei aber vom Jobcenter „allein gelassen“ und ihm die dafür erforderliche Hilfe nicht geleistet wird.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Langzeitarbeitsloser (aufgrund seiner Behinderung den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt) hatte bis 2003 als Buchhalter gearbeitet. Danach war er arbeitslos oder mit unterschiedlichen Hilfsarbeiten beschäftigt. Er bewarb sich häufig, aber erfolglos auf Stellen als Buchhalter. Ab 2017 lehnte das Jobcenter Osnabrück weitere Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen ab. 2019 erhielt er gleichwohl einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Es kam aber nicht zur Arbeitsaufnahme, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte. Die tägliche Fahrzeit von der bisherigen Wohnung war unzumutbar.

2020 machte das Jobcenter eine Erstattungsforderung von Leistungen der Grundsicherung von rund. 6.800 Euro wegen sozialwidrigen Verhaltens gegen den Leistungsbezieher geltend, da er vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert habe. Die Klage gegen die Forderung vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück war erfolgreich.

Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers nun ebenfalls bestätigt. In der nicht erfolgten Arbeitsaufnahme sei kein sozialwidriges Verhalten zu sehen, da er am künftigen, außerhalb des Tagespendelbereichs liegenden, Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten konnte. Er selbst verfügte nicht über die für eine Mietkaution erforderlichen Mittel; nicht zuletzt wegen des langjährigen Hilfebezugs. Das Jobcenter habe die Übernahme der Kosten abgelehnt.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) II sind Leistungen zu ersetzen, wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung ohne wichtigen Grund herbeigeführt werden. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde (§ 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II). Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II knüpft also ausdrücklich an ein sozialwidriges Verhalten des Leistungsempfängers an.

Wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls kann dem Kläger das Nichtantreten der Arbeitsstelle in Düsseldorf aber nicht als sozialwidriges Verhalten vorgeworfen werden. Das für die Anmietung einer neuen Wohnung erforderliche Mietkautionsdarlehen hat das Jobcenter mehrfach ausdrücklich abgelehnt. Auch eine „Beschwerde“ bei der Leitung des Jobcenters sowie die vom künftigen Arbeitgeber erfolgte Nachfrage blieben erfolglos. Der Kläger wurde stattdessen an das künftig zuständige Jobcenter verwiesen. Entgegen der klaren Vorgabe von § 16 SGB I hat das Jobcenter Osnabrück den Antrag aber nicht weitergeleitet.

Der Kläger war in seiner Lage auf ein umgehendes, klares und abgestimmtes Behördenhandeln angewiesen, wurde von den SGB II-Leistungsträgern jedoch vollkommen „allein gelassen“. Ein vorwerfbares sozialwidriges Verhalten liegt daher nicht vor.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Urteil LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.1.2023 -L 11 AS 336/21

Vorinstanz: Urteil SG Osnabrück vom 17.6.2021 -S 23 AS 231/20