Menu Close

Ich bin doch nicht blöd oder „don´t be a fool, use that tool“

Hans-Willi Weis im Biergarten Bier trinkend
Hans-Willi Weis
Foto: Hans-Willi Weis

Staufen (kobinet) Alt und Jung tut es, Männlein und Weiblein tun es, LGBTIQ machen es, Ungläubige und selbst Gläubige, Nichtbehinderte sowieso und warum nicht auch Behinderte. Kurz, alle tun es. Von was die Rede ist? Na von dem, was gerade alle machen: Sich helfen lassen, unterstützen, „supporten“, technisch, durch KI, ChatGPT. So viel Intelligenz war nie! Und wer mehr will, liest einfach weiter.

Alle tun es und die Ergebnisse können sich sehen lassen

Künstlerinnen und Künstler fahren darauf ab wie zuvor nur auf Speed. Auf künstliche Intelligenz. Denn Intelligenz ist Intelligenz, wie Kunst Kunst und echt oder künstlich nicht länger die Frage, sobald die Kunst echt künstlich ist. Warum selber machen, wenn es künstlich geht. Dichter lassen dichten, Schriftsteller (mit oder ohne Schreibblockade) sich ihre Geschichten schreiben. Universitätsdekane die Drittmittelanträge, DoktorandInnen die Doktorarbeit, Studierende die Seminararbeit. Und Schülerinnen und Schüler lassen sich von ChatGPT bei den Hausaufgaben helfen.

Der Laie staunt und der Fachmann und die Fachfrau wundern sich, was da alles möglich ist. Und sicher nicht ginge, wenn sich die Ergebnisse nicht sehen lassen könnten. Und hören lassen. So wie die ersten künstlich intelligenten Predigten, die Pastoren in den USA an ihren Schäflein ausprobiert haben. Die Gemeinde habe überhaupt nichts gemerkt. Und darüber aufgeklärt, zeigten sich fast alle damit einverstanden, nur ein paar besonders Fromme wünschen sich für die Zukunft die Kunstpredigt eine Spur emotionaler. Irgendwie inbrünstiger, stelle ich mir vor.

Das sind erfreuliche und ermutigende Nachrichten, weil Akzeptanz so unheimlich wichtig ist. Um auf dieser künstlichen Basis intelligent und auf ganz natürliche Weise weiterzumachen. Klar doch, an einem derartigen Scheideweg der menschheitlichen Evolution fühlt sich auch der Behinderten-Kolumnist in mir angesprochen und gefordert. Wir Behinderten können uns da nicht auf unser Handicap zurückziehen oder herausreden, schließlich ist auch unsere Intelligenz beschränkt. Und wenn wir nicht eines Tages am künstlichen Intelligenztropf der Chinesen hängen und praktisch verhungern wollen (der Seeweg ist zu lang und die Lieferkette schon jetzt gerissen), dann müssen wir uns am Riemen reißen. Ungesäumt mache ich den kostenlosen Schnelltest übers Netz.

Kann KI Kolumne?

Bevor ich etwas falsch mache, sage ich mir, backe erst einmal kleine Brötchen und fange mit einem Testlauf an. Die Frage, ob KI Kolumne kann, behalten wir im Hinterkopf. Zuerst soll mir ChatGPT mal ein Gedicht machen, Marke Poetry Slam, bitte gereimt und was mit Liebe, so meine Vorgabe. Hier in künstlich intelligenter Echtzeit das Ergebnis.

Meine Ex, die Hex, wollt immer nur Sex. Sie ging mir auf den Keks. – Hab ich drum nen Knaks? frag ich Oliver Sachs. Probiers mal mit Lachs, rät mir der Angelsachs.

Passabel, würde ich sagen, es reimt sich und Liebe kommt vor. Und ich finde, das mit dem Fisch, dem Lachs, das hat wachs. Und weil das was hat, also originell ist, wage ich den nächsten Schritt. Meine Vorgabe an ChatGPT diesmal: Für die Allgemeinheit überzeugend darstellen, dass auch Behinderte gesellschaftlich wichtig sind und etwas leisten. Das Ganze in einfacher barrierefreier Sprache, um für möglichst viele der nicht behinderten Allgemeinheit zugänglich zu sein.

Berühmte Behinderte

In Nulkommanichts hat mir die KI das Ergebnis ausgespuckt. Unter der Überschrift Berühmte Behinderte zeigt sie anhand behinderter Vips die Wichtigkeit von Behinderten auf, ohne die beschränkte Zeichenanzahl der Juni-Kolumne zu überschreiten. – Artifiziell intelligent wie er nun mal ist, hat der Algorithmus uns Behinderte bzw. die Berühmten aus unserer Mitte entsprechend der Behindertenkategorie sortiert, von Rollstuhlfahrenden bis zu den Taubstummen. Ich übergebe jetzt an die Maschine und melde mich hinterher wieder zu Wort.

Das Gewicht und die Leistung von Behinderten für die Gesellschaft einst und jetzt dokumentiert am besten ein „Who is Who“ ihrer Celebrities aus Vergangenheit und Gegenwart. Und man findet sie in Politik, Sport und Wissenschaft, sowie in Kultur und Medien. Unter ihnen tote und lebende Legenden, Könige und Präsidenten. Ohne deren leistungsstarke Inklusionsbotschaften wäre das gesellschaftliche Leben ärmer. Durch Barrierefreiheit kann die Allgemeinheit nur gewinnen (Win-Win-Situation).

Rollstuhlfahrende und Hinkende bzw. Lahme

– Rollstuhlfahrende:
Franklin D. Roosevelt (1882-1945), 32.Präsident der USA (von 1933 bis 1945). Infolge einer schweren Kinderlähmung (seit 1921) auf den Rollstuhl angewiesen. Mit seinem New Deal, einer groß angelegten Sozialgesetzgebung, flankiert von Arbeitsbeschaffungs-programmen, bekämpfte er in den 1930-er Jahren die soziale Not infolge der Weltwirtschaftskrise. Erste Sozialversicherung in den USA, darunter neben einer Witwenrente auch Hilfen für Behinderte. Als er auch einen Mindestlohn einführt, nennt ihn ein republikan. Verfassungsrichter „verkrüppelter Hurensohn“ (Stichwort Diskriminierung).

Steven Hawking (1942-2018), Astrophysiker in Cambridge/UK, an ALS erkrankt. Bahnbrechende Forschung zu Kosmologie, Relativitätstheorie und Schwarzen Löchern (die über das ganze Loch strahlend Materie verschlucken und Information vernichten). Populärwissenschaftliche Bestseller Eine kurze Geschichte der Zeit sowie Das Universum in der Nußschale. Atheist, gute Kontakte zum Vatikan (u.a.Treffen mit Papst Benedikt 2016). Hawking zeigte sich vor seinem Tod besorgt über die Zukunft der Menschheit und rät ihr, sich vor dem drohenden Untergang rechtzeitig auf andere Planeten zu retten. In aller Kürze ist davon auszugehen, dass sich der Wissenschaftler als selber Betroffener (Rollstuhlfahrender) den Übergang nicht nur für Nichbehinderte barrierefrei gedacht und gewünscht hat. Siehe auch von Hans-Willi Weis: https://kobinet-nachrichten.org/2022/12/15/mister-marsk-und-ichoder-mut-und-mass-die-zukunft-der-raumfahrt/

Raul Aguayo-Krauthausen (geb.1980 in Lima, Peru), leidet seit seiner Geburt an Osteogenese imperfecta (Glaskochen), selbständig mobil mit Rollstuhl. Umtriebiger Medienmacher und Kommunikator, früh bekannt geworden durch gemeinsame Fernsehmoderation mit dem Kultur-Conferencier Roger Willemsen. Nebenbei hat er mit seiner natürlichen Intelligenz Flaschenpfand für gute Zwecke abgezweigt und dafür einen Verdienstorden erhalten. Heute Behindertenaktivist und talentierter Talkmaster (Dachdecker wollte er nicht werden), trifft seine prominenten Gesprächsgäste im Fahrstuhl. Zusammen mit den Sozialhelden (keine Band) setzt er landesweit die Neue Norm durch.

Jorge Mario Bergoglio (geb.1936 in Buenos Aires, Argentinien), Amtsname Franziskus, Papst. Seine Enzyklika zu Umwelt- und Klimaschutz nennt die gegenwärtige Lebensweise der Menschheit selbstmörderisch (Stichwort „letzte Generation“, vgl. Hawking, Rettung auf andere Planeten). Sitzt erst seit kurzem im Rollstuhl, spät erlahmt.

– Hinkende bzw. Lahme:
Ödipus (altgriech., deutsch Schwellfuß), keine exakten Geburts- und Sterbedaten (ca.1000 v.Chr.). Fußleiden nach Kindesmisshandlung im Kleinkindalter, danach von Pflegeeltern aufgezogen. Später ein junger Mann auf Wanderschaft, tötet er unwissentlich seinen leiblichen Vater bei einer Auseinandersetzung um die Vorfahrt im Straßenverkehr. Als erster Mensch löst er das Rätsel der Sphinx („am Lebensbeginn vierbeinig, ausgewachsen zweibeinig und am Lebensende bewegt es sich auf drei Beinen, was ist das?“). Zur Belohnung der Rätselauflösung und der damit einhergehenden Bewältigung einer Pandemie (Pest) in der Metropole Theben erhält er die thebanische Königswürde und heiratet inkognito seine verwitwete Mutter, Königin Jokaste. Späterblindung durch Selbstblendung infolge einer reaktiven Depression auf diverse Enthüllungen. Die bekannteste nichtbehinderte Tochter von König Ödipus ist Antigone.

Lord Byron (1788-1824), sog. Klumpfuß. Dichter und Dandy, Romantiker. Gehörte zum Freundeskreis um Mary Shelley, der Schöpferin von Frankensteins Monster (Stichwort „kognitive Einschränkung“). Litt zeit seines Lebens unter seiner Behinderung, erlebte sie als entwürdigende Missbildung, weil sie ihn z.B. auf festlichen Bällen am Tanzen hinderte. Nicht jedoch daran, am griechischen Freiheitskampf teilzunehmen und aufgrund von dessen Strapazen früh zu versterben. Hinterließ zu Lebzeiten nachhaltigen Eindruck auf Frauen.

Talleyrand (1754-1838), franz. Diplomat und Politiker. Eine komplizierte Beinverletzung als Jugendlicher hat Klumpfuß zufolge. Der ihn zunächst die geistliche Laufbahn einschlagen lässt.
Dann eine glänzende diplomatische und politische Karriere. Große Wendigkeit, Diplomat unter Napoleon, anschließend Staatsmann der antinapoleonischen Restauration. Trotz seines Handicaps wird ihm erotische Anziehungskraft bescheinigt.

Joseph Goebbels (1897-1945), Klumpfuß. Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Tagebücher und berüchtigte Sportpalastrede (Triggerwarnung: politisch inkorrekt).

Oskar Pistorius (geb.1986 in Südafrika, keine Daten über etwaige Verwandtschaft mit dem beliebten Verteidigungsminister B. Pistorius), Unterschenkelprothesen aus Karbon, Sprinter und Sieger bei Paralympics. Parasportliche Spitzenleistung überschattet durch Anklage, seine Freundin erschossen zu haben.

Martin Rehm (geb.1988 in Göppingen), Weitsprung-Weltrekordler mit Prothese. Vorerst verweigert ihm der Nichtbehindertensport die Teilnahme an Olympia. Schneller, höher, weiter, der klügere Prominente gibt nach, zur Entspannung ist Martin Rehm erst einmal zum Snowboarden nach Kanada gegangen.

Blinde und Taube

– Blinde:
Homer (um 900 v.Chr.), blinder Dichter aus Kleinasien, Verfasser zweier großer Versepen (heutige Gattungsbezeichnung Fantasy-Roman). Das erste Epos, die Ilias, handelt vom Kampf um Troja. Kriegsentscheidend war ein Holzpferd, jene Monumentalplastik, von der sich die Redewendung „Trojanisches Pferd“ herleitet (zu „Trojaner“ verkürzt Bezeichnung für Schadsoftware). Zweites Epos Odyssee, benannt nach dem Helden Odysseus, der mit anderen Griechen vor Troja kämpfte. Nach dem Endsieg erleidet er mit seinen Gefährten auf dem Weg in die Heimat Schiffbruch im Mittelmeer (stürmischer Wellengang, eventuell Boot auch überladen). Odysseus kann sich auf eine Insel retten, wo er Asyl bei einer Nymphe findet, die ihn mehrjährig als ihren Sexsklaven missbraucht (Stichwort Asylmissbrauch).

Jorge Luis Borges (1899-1986), argentinischer Schriftsteller, infolge Netzhauterkrankung mit 50 voll erblindet. Vor allem durch seine fantastischen Erzählungen bekannt, Mitbegründer des „magischen Realismus“, bei dem das Reale und das Surreale kunterbunt durcheinandergehen. Von Beruf Bibliothekar und Direktor der Nationalbibliothek. Seit einer Ordensverleihung durch den chilen. Diktator Pinochet 1976 begrenzter politischer Imageschaden (der Dichter und der Diktator). Es wird kolportiert, Umberto Eco habe sich zu seiner Romanfigur Jorge von Burgos, des blinden Klosterbibliothekars in Der Name der Rose, von Jorge Luis Borges quasi als Vorlage inspirieren lassen. Borges hat allerdings nie eine Bibliothek angezündet, auch nicht nach seiner Erblindung.

Jaques Lusseyrand (1924-1971), an den Folgen einer Augenverletzung beim Schulsport als Kind erblindet. Widerstandskämpfer und Hochschullehrer. Im Alter von 17 Eintritt in die Résistance, Verhaftung durch die Gestapo, interniert im Konzentrationslager Buchenwald. Nach Befreiung aus der Haft und Kriegsende Studium in Paris und später Philosophieprofessur in USA (ein Gesetz aus der nazifreundlichen Vichy-Regierungszeit verbot Behinderten die Universitätslaufbahn in Frankreich). Einem breiteren Lesepublikum bekannt wurde Lusseyrand durch seine Autobiographie Das wiedergefundene Licht (Nichtbehinderte verschenken es gern an Blinde und Sehbehinderte).

Ray Charles (1930-2004), siebenjährig durch Glaukom erblindeter Popstar, ebenso wie Stevie Wonder (geb.1950), geburtsblind.

Johann König (geb. 1981), unfallblind, gelabelt als „der blinde Galerist“, internationaler Player mit renommiertem familiärem Galeristen- und Kunsthändlerhintergrund.

Verena Bentele (geb.1982), mehrfaches paralympisches Gold, derzeit VdK (Verband der Kriegsversehrten) -Präsidentin.

– Taube:
Helen Keller (1880-1968), mit 19 Monaten taub und erblindet, Amerikanerin. Eine legendäre Behindertenbiographie, die weltweite Berühmtheit erlangt (auch als „the life of Helen Keller“ verfilmt).

Ludwig van Beethoven (1770-1827), ab Lebensmitte allmählicher Gehörverlust bis zur vollständigen Taubheit. Schöpfer unsterblicher musikalischer Werke, komponierte Europahymne „Freude schöner Götterfunken“. Ende.

Menschliches Nachwort

Hallo, nun bin ich es wieder. ChatGPT musste sich zuletzt kurz fassen, um die vorgegebene Zeichenanzahl einzuhalten. Nichtsdestoweniger eine stattliche Ahnengalerie behinderter Promis! Nichtbehinderte werden beeindruckt sein. Und für uns Behinderte folgt daraus nur der eine Schluss: Sogar für unsereins gibt es echte Aufstiegschancen, auch wir können Papst werden, König auch und Präsidentin.

In eigener Sache frage ich mich nach dem erfolgreichen Testlauf, ob ich das Kolumneschreiben nicht gleich gleich ganz an ChatGPT abgebe. Einer KI-Maschine sollte es weniger ausmachen, wenn sie in eine resonanzlose Leere hinein spricht oder schreibt. Jedenfalls solange man ihr noch nicht Gefühle einprogrammiert hat, sie mit einer Empfindungsfähigkeitssoftware gefüttert hat. Spätestens dann wird es auch für ihren reibungslosen Betrieb nicht gleichgültig sein, ob ihr auch einmal eine freundliche LeserInnenreaktion zuteil wird. – Um nichts übers Knie zu brechen, lasse ich mir mit der Entscheidung bis Ende des Jahres Zeit, ob ich an ChatGPT übergebe. Vielleicht gibt es dann bereits die neue Version oder schon die nächste Generation, Open AI bedeutet ja auch, dass die Software nach vorne hin offen ist.

Weiterführender Anhang

Namenserläuterung zu Oliver Sachs, angloamerikanischer Psychiater, populäre Buchveröffentlichungen wie Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte u.a.

In diesem Zusammenhang fällt mir noch ein prominenter Rollstuhlfahrer ein, den ChatGPT unerwähnt gelassen hat. Milton Erikson (1901-1980), Begründer der Hypnotherapie, der in den 1990-er Jahren zu einem Star in der Therapie- und Psychoszene avancierte.

Zwei Hörtipps:

Deutschlandfunk Essay und Diskurs vom 16.04.2023 https://www.deutschlandfunk.de/schreiben-nach-ki-artifizielle-und-postartifizielle-texte-100.html

Zum nämlichen Thema auch der spannende Podcast der Neuen Norm https://dieneuenorm.de/podcast/kuenstliche-intelligenz/