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Scheuen Abgeordnete die Debatte zum Barrierefreiheitsrecht?

Logo: Noch 70 Tage für ein gutes Barrierefreiheitsrecht
Noch 70 Tage für ein gutes Barrierefreiheitsrecht
Foto: Marleen Soetandi

Berlin (kobinet) Heute am 17. April, da den Bundestagsabgeordneten eigentlich noch 70 Tage zur Verabschiedung eines guten Barrierefreiheitsrechts bis zur letzten regulären Sitzung des Bundestages in dieser Legislaturperiode verbleiben, fragen sich viele, ob die Abgeordneten die Debatte zu diesem Thema scheuen. Denn mit Verwunderung mussten Vertreter*innen von Behindertenorganisationen nach Einstellung der Tagesordnung des Bundestagsplenums für die kommende Sitzungswoche feststellen, dass es keine Debatte zur 1. Lesung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz am 22. April geben wird. Der Gesetzentwurf wird lediglich im vereinfachten Verfahren ohne Debatte eingebracht und an den Ausschuss für Arbeit und Soziales verwiesen.

Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Ein Blick auf die Tagesordnung des Plenums des Deutschen Bundestag für die Zeit vom 21. – 23. April zeigt, dass unter Punkt 44 „Überweisungen im vereinfachten Verfahren“ unter „m“ das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auftaucht.

Link zur Tagesordnung des Bundestagsplenums: https://www.bundestag.de/tagesordnung?week=16&year=2021

Das bedeutet, dass das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das viele Millionen Menschen betrifft, am 22. April nicht im Plenum des Bundestag bei der Einbringung des Gesetzes debattiert wird. Es wird lediglich über die Überweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales abgestimmt. Das wird als schlechtes Zeichen gewertet, dass sich die Bundestagsabgeordneten mit diesem Thema nicht intensiver befassen wollen, obwohl gerade während der Corona-Pandemie das Versagen in Sachen Barrierefreiheit in Deutschland an vielen Stellen deutlich geworden ist. Zuletzt wurde beispielsweise kritisiert, dass die aus öffentlichen Mitteln bezuschusste Luca App von vielen blinden und sehbehinderten Menschen nicht barrierefrei genutzt werden kann. Und im Alltag stoßen viele behinderte Menschen nach wie vor ständig auf Barrieren, weil private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten hierzulande immer noch nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet sind.

Bedenklich erscheint auch, dass das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bereits am Mittwoch, den 21. April – also noch vor der Einbringung im Bundestag in erster Lesung bereits im Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt wird. Dort steht es auf Tagesordnungspunkt 8 und es geht um die Beschlussfassung über die Durchführung einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen.

Link zur Tagesordnung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 21. April 2021

Obwohl dem Bundestag noch genügend Zeit für die Verabschiedung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes verbleibt und das Gesetz als nicht zustimmungspflichtig durch den Bundesrat gilt, kann man sich angesichts dieser hastigen Terminierung des Eindrucks nicht verwehren, dass die Regierungskoalition den Gesetzentwurf im Schweinsgalopp ohne großes Aufheben verabschieden will. Denn eigentlich steht im Gesetzentwurf für das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auch nur das Nötigste zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der entsprechenden EU-Richtlinie drin. Daran wird deutlich, dass die Regierenden hierzulande gar nicht viel in Sachen Barrierefreiheit tun wollen.

Die Veremeidung einer größeren öffentlichen Diskussion erscheint aus Sicht der Bundestagsabgeordneten der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD auch durchaus verständlich. Denn manche von ihnen erinnern sich vielleicht noch an den 11. und 12. Mai 2016. Damals hatten sich behinderte Menschen am Spreeufer in der Nähe des Bundestages angekettet und die Nacht bis zur Abstimmung im Bundestag verbracht. Das Echo auf die von den Betroffenen kritisierte Verweigerung der Aufnahme einer Verpflichtung zur Barrierefreiheit privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten in der Reform des Behindertengleichstellungsgestzes war in den Medien enorm. Damals wurden die Betroffenen übrigens damit vertröstet, dass das Thema später angepackt werden soll.

Und auch dieses Mal muss sich die Abgeordneten der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD eine Reihe von äusserst unangenehmen Fragen stellen lassen:

Warum sollen beispielsweise Geldautomaten erst ab 2040 barrierefrei zugänglich sein, also eine längere Frist wie beim Kohleausstieg?

Warum muss das Umfeld von Terminals nicht barrierefrei gestaltet werden, was dazu führen könnte, dass beispielsweise der Geldautomat barrierefrei wird, aber der Zugang mit Barrieren gespickt bleiben darf?

Warum soll in Deutschland nicht gehen, was in anderen Ländern wie Großbritannien und Österreich seit vielen Jahren gesetzlich geregelt und Praxis ist, dass private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten sehr wohl zur Barrierefreiheit verpflichtet sind?

Dies sind nur einige von vielen Fragen, die deutlich machen, dass sich die Stärkung der Barrierefreiheit im bisherigen Gesetzentwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Grenzen halten und dringende Änderungen durch die Bundestagsabgeordneten nötig sind. Deshalb wird den Betroffenen nichts anderes übrig bleiben, die Debatte weiterhin zu den Bundestagsabgeordneten zu tragen, so dass sich noch mehr Betroffene an diese mit Mails und Anfragen wenden müssen.

Link zu Informationen zur Kampagne für ein gutes Barrierefreiheitsrecht