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Nancy Frind hat den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft

Nancy Frind
Nancy Frind
Foto: privat

Erfurt (kobinet) Sieben Jahre lang hat Nancy Frind in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet und sich dort zunehmend unwohl gefühlt. Seit einem Jahr arbeitet die 40jährige Thüringerin nun auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und hat ihren "Traumjob“, wie sie selbst sagt, bei der LIGA Selbstvertretung Thüringen gefunden. Dort hat sie am 1. März 2022 mit einem viermonatigen Praktikum begonnen und danach mittels der Förderung durch das Budget für Arbeit einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob bekommen. Dass dies gelungen ist, hat entscheidend mit Menschen zu tun, die an sie glauben und sie ermuntert haben, diesen Weg zu gehen. Das und einiges mehr, erfuhr Ottmar Miles-Paul vom Projekt "Gute Nachrichten zur Inklusion“ des NETZWERK ARTIKEL 3. Er sprach mit Nancy Frind und der stellvertretenden Geschäftsführerin der LIGA Selbstvertretung Thüringen Andrea Grassow.

„Irgendwann war mir klar, dass ich einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möchte. In der Werkstatt für behinderte Menschen fühlte ich mich unterfordert und nicht mehr wohl. Ich hatte aber viele Zweifel, ob ich das schaffe, ob ich dafür nicht zu dumm bin“, berichtet Nancy Frind. Ausschlaggebend dafür, dass Nancy Frind im Dezember 2021 zum Sozialamt gegangen ist und um Unterstützung beim Antrag für ein Budget für Arbeit gebeten hat, war letztendlich die Unterstützung von Menschen, die an sie glauben. „‘Komm Nancy, du kannst das‘, hat man damals immer wieder zu mir gesagt und mich ermuntert, den Weg ins Budget für Arbeit zu wagen“, berichtet Nancy Frind. Bevor die engagierte Streiterin für die Rechte behinderter Menschen zum Sozialamt ging, um das Budget für Arbeit zu beantragen, hatte sie eine Zusage der LIGA Selbstvertretung Thüringen für eine mögliche Beschäftigung bekommen. „Ich hatte dann zwei bis drei Termine auf dem Sozialamt und wurde dort richtig gut unterstützt. Danach konnte es mit einem Praktikum am 1. März 2022 losgehn“, berichtet Nancy Frind. „Nach drei bis vier Monaten Praktikum war es dann soweit. Ich bekam mit Unterstützung des Budget für Arbeit einen Job mit einem richtigen Gehalt.“

Während sich Nancy Frind aufgrund der eintönigen Arbeit in der Lebensmittelabteilung der Werkstatt für behinderte Menschen unterfordert fühlte und oft nicht offen sagen konnte, was sie dachte, ist ihre jetzige Tätigkeit bei der LIGA Selbstvertretung sehr abwechslungsreich. „Mein Job ist es, dass ich mich in der Interessenvertretung um die Belange von behinderten Menschen in besonderen Wohnformen und von Werkstattbeschäftigten kümmere. Einen ersten Workshop habe ich schon durchgeführt, ein zweiter findet im April statt. Dabei geht es um die Mitwirkungsverordnung, also darum, was man da noch für die Beschäftigten in der Werkstatt reinbringen kann. Dabei möchte ich den Leuten mitgeben, dass sie auch was sagen dürfen, dass ihre Meinung zählt“, berichtet Nancy Frind.

In der Werkstatt würden die Beschäftigten viel zu wenig gefördert und die Mitarbeiter*innen der Werkstatt müssten dort viel besser geschult werden, um behinderte Menschen mehr fördern und unterstützen zu können. „Wir haben einmal die Woche Dart gespielt, aber richtig gefördert wurde nie. Ich war bei der Werkstattleitung nicht sehr beliebt, aber bei den Beschäftigten schon. Der Druck, nichts falsches zu sagen, war groß. Ich musste immer überlegen, ‚was sage ich, was sage ich nicht‘. Ich bin froh, dass ich jetzt das machen darf, was ich wollte. Ich habe meinen Traumjob gefunden. Ich kann mich auch für andere Leute einsetzen und kann meinen Mund aufmachen“, erzählt Nancy Frind. Ihre Erfahrung hat gezeigt, dass es sehr schwierig ist, wieder rauszukommen, wenn man einmal im System der Werkstätten gefangen ist. „Dann bleiben viele einfach drin oder man muss hart dafür kämpfen, wieder raus zu kommen. Ich bleibe in der Werkstatt, weil ich dumm bin, das habe ich immer geglaubt und das habe ich mir immer wieder eingeredet. Nun, da ich bei der LIGA Selbstvertretung arbeite und politisch aktiv bin, bekomme ich zum Glück andere Botschaften und lerne langsam, selbstsicherer zu werden“, erzählt sie.

Trotz ihrer Arbeitsmöglichkeit, die ihr nun auch den Spielraum gibt, einmal in Urlaub zu fahren und sich einige Dinge leisten zu können, vermisst Nancy Frind ihre Leute aus der Werkstatt, denn dort sind Freundschaften entstanden. „Ich gehe heute oft noch mal hin und besuche meine ehemaligen Kolleg*innen immer wieder. In der Werkstatt durfte man auch mal Blödsinn machen“, betont sie. Einfach „Ich Sein Können“, das ist Nancy Frind wichtig. „Auch wenn es nicht immer einfach mit mir ist. Meine Kolleg*innen von der LIGA Selbstvertretung wollten mich, und jetzt müssen sie mit mir leben“, scherzt die engagierte Frau, die gerne auch mal „Blödsinn macht“, wie sie sagt.

Auf die Frage, ob die Werkstatt ihr auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt geholfen hat, beantwortet Nancy Frind mit einem Jein. In ihrem Teilhabeplan stand zwar drin, dass sie raus aus der Werkstatt mit dem Budget für Arbeit will, „aber es wurde sich nicht drum gekümmert. Das wurde nicht ernst genommen. Den Schritt zum Sozialamt musste ich letztendlich alleine gehen. Dort wurde ich zum Glück ernst genommen mit meinem Wunsch für eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Leute, die aus der Werkstatt raus wollen, sollen unterstützt werden und den Mindestlohn finde ich auch wichtig“, betont Nancy Frind. Das mit dem Gehalt war für sie anfangs schwierig zu begreifen. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich jetzt richtig gutes Geld verdiene. Geld, das ich nie hatte. Ich kann mir jetzt einen Urlaub leisten. Ich bin das erste Mal nach Binz gefahren.“

An ihrem Arbeitsplatz bei der LIGA Selbstvertretung schätzt Nancy Frind besonders, dass sie dabei die Möglichkeit hat, flexibel zu arbeiten, also im Büro oder auch im Homeoffice, wo sie auch ihre E-Mails beantworten und telefonieren kann. „Für mich ist es sehr positiv, dass ich selbständig entscheiden kann, wo ich arbeite“, berichtet sie. Wichtig ist ihr dabei, dass sie eine gute Arbeitsassistenz hat. Damit hapert es noch. Auch wenn ein wesentlich höherer Bedarf unstrittig ist, bekommt Nancy Frind nur 480 Euro vom Sozialamt für die Assistenz am Arbeitsplatz. „Das müsste unbedingt noch verbessert werden, denn ich brauche einfach imner wieder Unterstützung, um klar zu kommen und für das Geld ist es nicht leicht, Arbeitskräfte zu finden und diesen Bedarf abzudecken. Ich brauche gerade auch aufgrund meiner psychischen Herausforderungen Menschen, denen ich vertrauen kann, die da sind, wenn ich sie an der Arbeit brauche, um aus einem Tief wieder rauszukommen oder eine Herausforderung zu meistern.“

Gerade bei ihrem Job, wo sie viel nach außen geht, Workshops und Veranstaltungen mitgestaltet, Lobbyarbeit für die Rechte behinderter Menschen in der Politik, Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr macht, ist ein psychischer Ausgleich für Nancy Frind enorm wichtig. So hat sie es in den letzten Monaten geschafft, eine neue und für sie passendere Wohnung zu finden. Sie hat auch gelernt, das es Höhen und Tiefen bei ihrer Erkrankung gibt und dass sie sich auch manchmal entschuldigen muss, wenn sie jemanden zu hart angegangen ist. „Ich bin von Erfurt nach Weimar umgezogen und es geht mir viel besser. Ich wohne jetzt das erste Mal glücklich in einer Wohnung, die hell ist und kann alles selbst bezahlen, weil ich in einem richtigen Job arbeite“, erzählt sie stolz.

Der Traum von Nancy Frind ist: „dass ich meinen Job weitermachen kann. Mein Job ist es, in die Politik zu gehen, um andere zu unterstützen, zu zeigen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen – dass wir – etwas bewegen können. Am liebsten würde ich in die Politik gehen“, berichtet sie. Und dabei ist Nancy Frind schon im Landesbehindertenbeirat Thüringen, im Landesvorstand einer Partei und für diese im Behindertenbeirat der Stadt Erfurt aktiv. Im April schaut sie sich auf der Werkstättenmesse in Nürnberg um, um sich zu vernetzen, um zu schauen, was andere Werkstätten machen. Zudem ist sie öfter auf Demos, so zum Beispiel in München, wo sie schon als Rednerin bei der Kundgebung des Randgruppenkrawalls gesprochen hat. Nach einem Jahr im Job bei der LIGA Selbstvertretung lauert hier also noch erhebliches Potential im Wirken von Nancy Frind. Für eine entsprechende Weiterbildung zur Selbstvertretung behinderter Menschen in der Politik und in Gremien hat sie sich bereits beim Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) beworben. „Ich hoffe, dass ich dort angenommen werde und noch viel bewegen kann“, so ihr aktueller Wunsch.

Aus der Sicht der Arbeitgeberin gesprochen, schildert die stellvertretende Geschäftsführerin der LIGA Selbstvertretung Thüringen, Andrea Grassow, sehr anschaulich, was sich seit der Beschäftigung von Nancy Frind im Büro und für sie selbst verändert hat: „Jeden Tag gibt es mit ihr was neues, jeden Tag lernt sie und vor allem ich selbst dazu. Ich durfte viele positive Dinge erleben, wie man etwas verändern kann. Aber auch, dass man die Arbeit auch mal nicht so ernst nehmen und die Welt anders betrachten kann.“ Jeder Tag sei eine Überraschung, berichtet Andrea Grassow weiter. „Ich durfte lernen, mich selbst zu überprüfen, wie man gewachsen ist, und nicht immer nur auf Leistung zu schauen. Ich wurde durch Nancy Frind angeregt, über mich selbst nachzudenken. Bezüglich meiner eigenen Krebserkrankung habe ich beispielsweise gelernt, dass ich mich damit nicht verstecken und nicht immer 100 Prozent perfekt sein muss. Wir sitzen hier am Tisch als Kolleginnen auf Augenhöhe, obwohl wir von ganz unterschiedlichen Hintergründen kommen“, berichtete Andrea Grassow.

Link zur LIGA Selbstvertretung Thüringen

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