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Spiegelfechterei in Sachen Ausgleichsabgabenerhöhung für Nullbeschäftiger?

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Berlin (kobinet) Handelt es sich bei der geplanten Weiterentwicklung der Ausgleichsabgabe für sogenannte Nullbeschäftiger um eine reine Spiegelfechterei? Diese Frage kommt zwangsläufig auf, wenn man sich intensiver mit den konkreten Plänen für die Gesetzesänderung im Rahmen des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes beschäftigt, das dem Bundestag zur Beratung vorliegt. Die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag liefert nun einige interessante Zahlen, die die Wirkung der geplanten Gesetzesreform relativiert, wie kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul in seinem Kommentar erläutert.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Bei der Google-Suche nach dem Wort Spiegelfechterei stößt man zuerst auf folgende Definition des Begriffes: „vom Wesentlichen ablenkendes, heuchlerisches, nur zum Schein oder zur Täuschung gezeigtes Verhalten.“ Bei Wikipedia wird Spiegelfechterei wie folgt erklärt: „Unter Spiegelfechterei versteht man ein oft übertriebenes Verhalten zur Täuschung anderer. Ein Spiegelfechter ist demnach ein Blender, jemand, der etwas vorgibt oder vortäuscht.“ Ob die geplanten Änderungen für eine vierte Staffel der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die trotz der Beschäftigungspflicht keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, reine Spiegelfechterei ist oder nicht, das kann jede*r selbst beurteilen. Was auf den ersten Blick gut klingt, zeigt sich beim genaueren Hinsehen jedoch in einem anderen Bilde.

Schaut man in den am 21. Dezember 2022 vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf für ein Gesetz zur Förderung eines inlusiven Arbeitsmarktes klingt es auf den ersten Blick gut, dass diejenigen Unternehmen, die keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, obwohl sie beschäftigungspflichtig sind, zukünftig die doppelte Ausgleichsabgabe zahlen sollen, also 720 Euro. Dabei kann man bereits trefflich darüber streiten, ob das genug ist. Liest man dann im Gesetzentwurf weiter, kommen jedoch die Ausnahmen für Unternehmen mit bis zu 40 Beschäftigten und solche mit bis zu 60 Beschäftigten Die sollen im Falle der Nullbeschäftigung nach den Plänen der Bundesregierung nämlich maximal nur 210 beziehungsweise 420 Euro zahlen.

Soweit so schlecht, sofern es sich dabei um Ausnahmen für einige Wenige handeln würde. Aber man ahnt es schon, die meisten Nullbeschäftiger sind gerade diese Betriebe bis 40 bzw. bis 60 Beschäftigte. Dies hat nämlich eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag nun zu Tage gefordert. Diese hatte die Bundesregierung gefragt:

„Bei wie vielen Arbeitgebern, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung um Unternehmen, die weniger als 40 und weniger als 60 Beschäftigte in ihrem Unternehmen haben (bitte getrennt auflisten), und wie hoch schätzt die Bundesregierung die jährlichen Mehreinnahmen, die durch die vorgelegte gesetzliche Anpassung der Ausgleichsabgabe erzielt würden?“

Die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1. Februar 2023 lautet:

„Im Berichtsjahr 2020 haben insgesamt 44.793 beschäftigungspflichtige Arbeitgeber keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigt. Darunter waren 33.861 Arbeitgeber mit 20 bis unter 40 zu zählenden Arbeitsplätzen und 6.978 Arbeitgeber mit 40 bis unter 60 zu zählenden Arbeitsplätzen (Quelle: Zentraler Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit). Die Einführung einer vierten Staffel bei der Ausgleichsabgabe mit einem höheren Abgabesatz hat zum Ziel, dass die Arbeitgeber mehr schwerbehinderte Menschen einstellen (Antriebsfunktion der Ausgleichsabgabe). Für Arbeitsplätze, die mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden, ist dann keine Ausgleichsabgabe mehr zu zahlen (bedeutet: Mindereinnahmen). Bei den Arbeitgebern, die ihr Einstellungsverhalten nicht ändern, werden höhere Abgaben fällig (bedeutet: Mehreinnahmen). Es wird davon ausgegangen, dass die Maßnahme im Ergebnis aufkommensneutral ist.“

Zählt man also die Unternehmen mit bis zu 40 und bis zu 60 Beschäftigten zusammen, ergibt dies 40.839 Unternehmen, die in diese Kategorie – also in die Ausnahmeregelungen mit günstigeren Sätzen – fallen. Von den 44.793 Unternehmen, die bisher keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, fallen also nur 3.954 Unternehmen in die Kategorie, die 720 Euro zahlen müssen. Angesichts dieser Zahlen erscheint die Wirkung der Gesetzesänderung in einem völlig neuen Licht. Vor allem auch im Hinblick darauf, dass die Verpflichtung zur Beschäftigung behinderter Menschen durch den Wegfall der Möglichkeit zur Verhängung von Bußgeldern faktisch wegfällt. Und auch die Möglichkeit, dass die Kosten der Unternehmen für die Nichtbeschäftigung behinderter Menschen – also die Ausgleichsabgabe-Zahlungen – weiterhin von der Steuer abgesetzt werden können, sei an dieser Stelle erwähnt.

Es scheint, dass bei den Debatten über das geplante Gesetz im Bundestag einiges zu besprechen sein dürfte, wie die Inklusion in den allgemeinen Arbeitsmarkt wirklich verbessert werden könnte, anstatt nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich bloß nicht naß“ vorzugehen, wie das derzeit wohl geplant ist.

Link zu Infos zum Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts

Link zum Gesetzentwurf