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Corona-Folgen sichtbar machen

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul
Foto: Franziska Vu ISL

Kassel (kobinet) Während wir in Deutschland gut darin sind, Statistiken zu erstellen und mit Zahlen argumentativ zu jonglieren, fehlt es hierzulande nach Ansicht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul an der ganz konkreten und praktischen Darstellung der Folgen der Corona-Pandemie für die einzelnen Menschen. In seinem Kommentar für die kobinet-nachrichten plädiert der Behindertenrechtler dafür, die Folgen der Corona-Pandemie auch hierzulande besser sichtbar zu machen.

Kommentar von Ottmar Miles-Paul

Auch wenn die USA wesentlich härter von den Folgen der Corona-Pandemie getroffen sind als wir hier in Deutschland, wird in den US-amerikanischen Medien meinem Eindruck nach wesentlich häufiger über konkrete Schicksale von Menschen berichtet, die ihre Angehörigen durch Corona-Infektionen verloren haben oder mit den Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen haben. Ein am Freitag ausgestrahlter Bericht im heute journal unter dem Motto „Reha für schwere COVID-Fälle“ bildet hierzulande fast die Ausnahme, auch wenn mir dabei der Begriff „Fälle“, wie in anderen Zusammenhängen auch, nicht gefällt.

Link zum heute journal-Bericht vom 4. September 2020

Und wenn man bedenkt, dass mittlerweils schon fast 10.000 Menschen in Deutschland an den Folgen der Pandemie gestorben sind und über 250.000 infiziert wurden, ist es um diese Opfer im Vergleich zu anderen Vorfällen sehr ruhig. Wären diese in Militäreinsätzen oder Terroranschlägen gestorben, wäre die mediale Aufmerksamkeit den einzelnen Vorfällen gegenüber allemal größer als dies bei den vielen Menschen der Fall ist, die an den Folgen der Pandemie gestorben sind. Da mutet die Initiative für eine staatliche Gedenkveranstaltung für die an der Pandemie gestorbenen Menschen für mich sehr positiv an, um die „vergessenen Opfer“ der Pandemie endlich einmal in den Mittelpunkt zu stellen.

Auch wenn die Deutsche Stiftung Patientenschutz die Zeit für ein staatliches Gedenken an die Corona-Toten noch nicht gekommen sieht, könnte eine solche Veranstaltung helfen, die Aufmerksamkeit auf das bereits von der Corona-Pandemie erzeugte Leid zu lenken. Dies vor allem, weil sich die mediale Aufmerksamkeit viel zu oft auf diejenigen konzentriert, die in der einen oder anderen Form behaupten, dass es das Corona-Virus nicht gibt und/oder die Maßnahmen zum Schutz vor dem tödlichen Virus zurück geschraubt werden sollen.

Ähnlich wie beim Thema Behinderung, bei dem angstmachende und unbequeme Faktoren des menschlichen Daseins gerne verdrängt werden und meist über die Betroffenen gesprochen wird, statt mit ihnen, ist es auch in der Corona-Pandemie längst überfällig, dass die Erfahrungen der Betroffenen und Angehörigen in den Mittelpunkt gerückt werden und die Folgen dieser Pandemie nicht nur anhand von nackten Zahlen sichtbar gemacht werden. Und dies sollte möglichst schnell geschehen, denn durch bedachtes Verhalten können weitere Opfer und Infektionen mit Langzeitfolgen konkret verhindert werden.