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Gute Zielvereinbarungen beim Landeswohlfahrtsverband Hessen Fehlanzeige?

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Foto: ht

Kassel (kobinet) Vor gut einem Jahr hat in Hessen im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes für viele Menschen, die Assistenz nutzen, der Wechsel des Kostenträgers vom örtlichen Sozialhilfeträger zum überörtlichen Landeswohlfahrtsverband (LWV) stattgefunden. Gerade für diejenigen, die ihre Assistenz im Rahmen des Arbeitgeber*innenmodells selbst organisieren und Leistungen in Form eines Persönlichen Budgets nutzen, gibt es seither immer wieder Probleme mit dem Abschluss von Zielvereinbarungen, wie die kobinet-nachrichten erfahren haben. Dies schaffe enorme Verunsicherung und vor allem Frust bei denjenigen, die selbstbestimmter leben wollen und hierfür auch viel Eigenverantwortung übernehmen.

Um ein Persönliches Budget als behinderter Menschen gut und vorausschauend organisieren zu können, bedarf es einiger Rahmenbedingungen, die schlichtweg nötig sind, um Assistent*innen angemessen beschäftigen und auch längerfristig halten zu können. Deshalb ist gesetzlich geregelt, dass Zielvereinbarungen für die Erbringung der Leistungen zwischen den Kostenträgern und Budgetnutzer*innen abgeschlossen werden. Während es in Kassel in der Vergangenheit in der Regel gelungen war, gute Zielvereinbarungen abzuschließen, die diesem Anspruch gerecht werden, scheint es nun im Zusammenwirken mit dem LWV Hessen kräftig im Getriebe zu knirschen, wie die kobinet-nachrichten von frustrierten Betroffenen erfuhren.

Wenn eine Zielvereinbarung zum Beispiel immer wieder befristet und nicht automatisch verlängert wird, obwohl sich an der Behinderung der Betroffenen so gut wie nichts ändert, dann kann man sich vorstellen, wie schwer es ist, seinen Assistent*innen eine Sicherheit zu geben und zum Beispiel Kündigungsfristen der Angestellten einzuhalten, wenn nicht klar ist, ob die Leistung so weiterbewilligt wird. Niemand möchte unter solchen Bedingungen längerfristig arbeiten müssen. Und niemand möchte so Personal managen müssen.

Problematisch sei auch, dass eine automatische Anpassung zum Inflationsausgleich für die Löhne mit dem LWV Hessen nicht gegeben sei. Auch Assistent*innen haben ein Recht auf Lohnanpassung bei ständig steigenden Kosten. Ob im Fall eines Krankenhausaufenthaltes das Budget weiter bezahlt wird, werde vom LWV ebenfalls nicht eindeutig geklärt und in Frage gestellt, wie Betroffene berichten. Auch hier drohen den behinderten Budgetnutzer*innen gerade in den unsicheren Corona-Zeiten erhebliche Gefahren, wenn die Leistungen bei Bedarf nicht bezahlt werden. Und wie wichtig Assistenz im Krankenhaus ist, wird derzeit intensiv vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) diskutiert und immer wieder vom Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel betont.

Während bisher Regelungen zur Schaffung einer Rücklage über 1,5 Monatsbudgets zum Beispiel für Urlaub, Krankheit etc. der Angestellten vereinbart werden konnten, soll es dies neuerdings auch nicht mehr geben. Man kann sich vorstellen, wie die Betroffenen in solchen Fällen sozusagen in der Luft hängen. Und auch die Kosten für Versicherungen, wie zum Beispiel einer Haftpflicht für Schäden, die die Angestellten verursachen, sollen nicht finanziert werden. Von Fortbildungen im Rahmen der Qualitätssicherung erst gar nicht mehr zu reden. Und ärgerlich sei auch, dass die Finanzierung eines Lohnbüros zur Abrechnung des enormen Aufwands immer wieder in Frage gestellt werde.

Gerade im Hinblick darauf, dass die Budgetnutzer*innen sozusagen am kleineren Hebel sitzen, wenn in den Verhandlungen zwischen ihnen und dem Kostenträger keine Zielvereinbarung zustande kommt und sie die Assistenz dringend brauchen, sind einige Betroffene, die bei solch wichtigen Fragen in Hessen weiterhin in der Luft hängen, zunehmend entmutigt. Sie verstehen schlichtweg nicht, warum Regelungen, die in der Kalkulation von ambulanten Diensten oder Einrichtungen selbstverständlich enthalten sind und bezahlt werden, bei ihnen plötzlich keine Rolle mehr spielen sollen. Sie haben ebenfalls Pflichten ihren Beschäftigten gegenüber, die sie einhalten müssen und müssen darum ringen, dass sie ihre Beschäftigten unter solchen Bedingungen halten können. Vor allem haben sie entgegen vieler Einrichtungen und Dienste keine Betriebsrücklagen mit denen sie eventuell auftretende finanzielle Probleme ausgleichen können. Hierzu gehört derzeit zum Beispiel die Finanzierung von Corona-Schutzmaßnahmen wie Masken oder Schutzkittel.

Besonders unverständlich ist dies für sie, da sie mit der Übernahme der Verantwortung für die Anstellung und des Managements ihrer Assistent*innen viele Kosten einsparen, die ambulante Dienste den Kostenträgern in Rechnung stellen. Sie machen ja vieles selbst, was sonst organisiert werden muss. Würden sie, was sich einige derzeit leider ernsthaft überlegen müssen, morgen die Flinte ins Korn werfen und anstatt ihres selbstorganisierten persönlichen Budgets die Leistungen eines ambulanten Dienstes in Anspruch nehmen, wären die Kosten für die Kostenträger erheblich höher.

Und hier kommt die politische Dimension des derzeitigen Vorgehens ins Spiel. „War das Bundesteilhabegesetz nicht einmal dazu gedacht, die Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen zu verbessern? Warum werden dann inklusive selbstbestimmte Formen der Assistenzorganisation eher behindert statt gefördert?“ Dies sind nur einige Fragen, die sich in Gesprächen mit Betroffenen ergeben haben. Weitere wären sicherlich noch zu stellen, aber die Betroffenen hoffen, dass sich beim Landeswohlfahrtsverband Hessen und bei anderen Kostenträgern bald etwas in Sachen Abschluss fairer Zielvereinbarungen tut, denn in der Vergangenheit gab es da bereits gute Ansätze, auf die man aufbauen könnte.

Die kobinet-nachrichten werden auf jeden Fall am Thema dran bleiben. Deshalb ist die Redaktion an guten wie schlechten Beispielen von Zielvereinbarungen mit dem LWV Hessen und anderen Trägern sehr interessiert, die in die Leserbriefrubrik zu diesem Beitrag eingetragen werden können.