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Krankenkassen blockieren Versorgung mit Hilfsmitteln

Porträt Kurbinian, er lacht uns an, der kleine Junge
Kurbinian, Sohn von Carmen und Thomas Lechleuthner
Foto: Carmen und Thomas Lechleuthner

Berlin (kobinet) Seit Jahrzehnten blockieren die Krankenkassen unsere Versorgung mit teils lebensnotwendigen Medikamenten und Hilfsmitteln.
Anträge werden schleppend bearbeitet oder grundsätzlich abgelehnt, und wir müssen klagen. Das nehmen wir nicht länger hin.

Entscheidung nach Aktenlage

Für ein Kind, das sich verbal nicht ausdrücken kann, beantragten die Eltern einen „Talker“, ein Gerät zur unterstützten Kommunikation. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, das Kind sei nur zu schüchtern zum Sprechen. Das klingt nach Realsatire, ist aber eine klare Fehleinschätzung einer Behinderung. Das darf Mitarbeitern einer Krankenkasse aber nicht passieren. Das ist ein Armutszeugnis für die Krankenkasse.

Einem anderen Kind wurden sogenannte „Stubbies“, Schützer für die Beinstümpfe, mit denen sich das Kind frei bewegen könnte, nicht genehmigt. Der zuständige Sachbearbeiter kannte dieses Hilfsmittel noch nicht und verabsäumte, bei den Eltern die Funktion von „Stubbies“ abzufragen.

Für ein Kind wurden notwendige Therapien abgelehnt, die zuvor mehrmals genehmigt worden waren. Begründung, ein Erfolg sei wissenschaftlich nicht erwiesen. Durch die Verzögerungen hat das Kind erworbene Kompetenzen wieder abgebaut. Dadurch ist es vor kurzem zu Verletzungen an den Zähnen des Kindes gekommen, sodass die Therapien jetzt doch genehmigt wurden. Das hat die Familie einem Mitarbeiter der Krankenkasse zu verdanken, der selbst ein behindertes Kind hat. Aber ohne die Verletzung an den Zähnen müsste sie weiter kämpfen.

Derlei Absurditäten können nur auftreten, weil der medizinische Dienst dazu angehalten wird, Gutachten nur nach Aktenlage anzufertigen.

Eltern pflegebedürftiger Menschen stoßen an ihre körperlichen Grenzen.

Ein 16jähriger Jugendlicher hat das Angelmannsyndrom, eine geistige und körperliche Einschränkung mit atypischem Autismus. Er wiegt 85 Kilogramm und kann nicht selbstständig stehen. Trotzdem wurde ein Patientenlifter für ihn abgelehnt. Der junge Mann ist seiner Mutter zu schwer. Sie schlief deshalb zwei Jahre mit ihm im Wohnzimmer. Und weil sie den jungen Mann nicht in die Badewanne heben konnte, setzte sie ihn zum Baden in ein Schlauchboot und duschte ihn mit einer Gießkanne ab. Ich bin fassungslos darüber, dass mitten in Deutschland eine Familie durch die Versäumnisse einer Krankenkasse auf eine solche Weise improvisieren muss. Das ist vermutlich kein Einzelfall, denn die meisten Menschen sprechen nicht gerne über Schwierigkeiten im häuslichen Bereich.

Alltagswahnsinn auch für Blinde und Sehbehinderte

Einer Dame wurde vor einiger Zeit der Blindenführhund mit der Begründung abgelehnt, sie könne sich in einem Radius von 500 Metern mit dem Blindenlangstock gut orientieren. Dies reiche für die Erfüllung der Grundbedürfnisse aus. Das ging damals durch die Presse
https://www.wz.de/nrw/rhein-kreis-neuss/neuss/krankenkasse-verweigert-blinder-frau-einen-fuehrhund_aid-26875313 und
https://rp-online.de/nrw/staedte/dormagen/dormagenerin-kaempft-fuer-blindenhund_aid-21110819u
und empörte viele, denn wer hält sich in der Praxis immer in einem Radius von 500 Metern auf? Warum soll uns Blinden der Luxus zu reisen nicht gegönnt sein? Erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit wurde der Frau der Blindenführhund genehmigt.

Als ich selbst vor zwanzig Jahren zum ersten Mal in Deutschland einen Blindenführhund beantragte, musste ich 1/3 des Preises für meinen Blindenführhund selbst finanzieren. Die Krankenkasse wollte mir damals einen Blindenführhund von einer Billig-Führhundschule genehmigen, die gar keine Führhunde ausbildete. Ich hatte mich allerdings für einen Blindenführhund aus einer echten Führhundschule entschieden, deren Preis nicht den Vorstellungen meiner Krankenkasse entsprach. Damals war ich bei einem Fernsehsender tätig, und so konnte eine sehr kompetente und nette Arbeitskollegin für mich ein Einlenken der Krankenkasse erwirken, und ich bekam 14.000 DM von der Kasse zurück, die ich zuvor an die Blindenführhundschule bezahlt hatte.

Man muss sich vor Augen halten, dass wir um Dinge kämpfen müssen, die für Menschen, die keine Behinderung haben, selbstverständlich sind. Insgeheim hegte ich schon oft den Wunsch, eine Woche mit einem der Krankenkassenmitarbeiter tauschen zu dürfen, nicht den Job, sondern die Lebenssituation. Er müsste nämlich in meiner Situation und ohne Hilfsmittel auf viele Selbstverständlichkeiten verzichten.

Stoppt die Blockaden der Krankenkassen bei der Versorgung schwerstbehinderter Kinder und Erwachsener“ lautet der Titel einer Petition, die Familie Lechleuthner gestartet hat, deren jüngstes von vier Kindern nach einer Hirnschädigung unklarer Ursache schwerstbehindert ist. Der Arztfamilie platzte der Kragen, weil auch sie ständig von ihrer Krankenkasse schikaniert wird.

Wir Unterstützer der Petition fordern unter anderem: keine systematische Infragestellung ärztlich eingeleiteter Therapien oder Verordnungen, direkte Kostenübernahme verordneter Hilfsmittel und Medikamente, keine nach Aktenlage angefertigten Gutachten durch den medizinischen Dienst und keine langen Bearbeitungszeiten durch die Krankenkassen.

Inzwischen hat die Petition über 17.000 Unterzeichner. Wir hoffen sehr, dass sich viele unseren Forderungen anschließen. 50.000 Unterschriften wären ein Traum.

Hier der Link zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/blog/stoppt-die-blockade-der-krankenkassen-bei-der-versorgung-schwerst-behinderter-kinder-erwachsene-3