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Kommt der rot-grün-gelbe Sprung für eine menschenrechtsorientierte Behindertenpolitik?

Rot-grün-gelbes Segelschiff mit Aufschrift: Barrierefreiheit Jetzt
Rot-grün-gelbes Segelschiff mit Aufschrift: Barrierefreiheit Jetzt
Foto: Marleen Soetandi

Berlin (kobinet) Vor knapp einem Jahr wurde der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene vorgestellt. Das damit verbundene, zwar noch vorsichtig aufflackernde, Leuchten in den Augen so mancher Akteur*innen der Behindertenbewegung ist mittlerweile etwas ermattet, aber angesichts einiger wohlklingender Formulierungen im Koalitionsvertrag nicht ganz erloschen. Diese Woche könnte sich zeigen, ob das Feuer für einen menschenrechtsorientierten Sprung der rot-grün-gelben Bundesregierung angefacht wird. Denn nun kommen einige behindertenpolitische Vorhaben auf die Tagesordnung, die zeigen, wie ernst die Formulierungen im Koalitionsvertrag gemeint sind. Darauf weist kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul in seinem Kommentar hin.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Ein Segelschiff mit einem rot-grün-gelben Segel mit der Aufschrift „Jetzt Barrierefreiheitsrecht“ mit kräftigem Rückenwind. So hat die Künstlerin Marleen Soetandi die Hoffnungen behinderter Menschen für mehr Barrierefreiheit für die Kampagne für ein gutes Barrierefreiheitsrecht bildlich festgehalten. Dieses Bild beschreibt die Hoffnungen sehr gut, die behinderte Menschen angesichts des Schneckentempos für mehr Barrierfreiheit der letzten Jahre haben: einen kräftigen Rückenwind vor allem für die längst überfällige Verpflichtung privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit. Behinderte Menschen wollen wie alle anderen auch, selbstverständlich ihre Brötchen beim Bäcker an der Ecke kaufen, einen Bus, eine Bahn oder einen Zug nutzen, ein Restaurant besuchen, zum Arzt gehen oder rollen bzw. einen Film im Kino anschauen oder verreisen – und das barrierefrei.

Ob dieser Rückenwind für mehr Barrierefreiheit kommt und wie dieser genau aussehen könnte, dafür dürfte der Kabinettsbeschluss für Eckpunkte zur Bundesinitiative Barrierefreiheit ein Indikator sein. Am 30. November will sich die Runde der Minister*innen, das Kabinett, mit entsprechenden Eckpunkten beschäftigen, die einen Rahmen für Aktivitäten der nächsten Monate und Jahre bieten sollen. Auch wenn die finanziellen Mittel für ein umfassendes Förderprogramm noch nicht bzw. nur sehr zaghaft im Bundeshaushalt verankert sind und der Evaluationsbericht zum Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes gerade erst veröffentlicht wurde, so gibt es eine Reihe von Anknüpfungspunkten für den weiteren Weg zur Barrierefreiheit. Diese werden nicht nur die Bundesregierung und die Fraktionen im Deutschen Bundestag, sondern auch die Behindertenverbände bzw. die Zivilgesellschaft fordern, wenn ein echter Sprung in Sachen Barrierefreiheit gelingen soll.

Was bereits auf dem Tisch liegt, ist die angekündigte Initiative zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Ein entsprechender Referentenentwurf wurde nun auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingestellt. Darin enthalten ist das schon seit längerem versprochene Vorhaben des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, Null-Beschäftiger zur Zahlung einer höheren Ausgleichsabgabe zu verpflichten.

Ca. 45.000 Betriebe, die zur Beschäftigung von fünf Prozent behinderten Menschen verpflichtet sind, beschäftigen keinen einzigen behinderten Menschen. Dem soll durch eine zusätzliche Stufe der Ausgleichsabgabe entgegengewirkt werden. Aber auch Fragen, wie das Budget für Arbeit als Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen gestärkt werden kann, werden im Referententwurf berührt. Und nicht zuletzt geht es auch darum, dass behinderte Menschen schneller die Hilfen bekommen, die sie für die berufliche Integration benötigen. Auch hier darf man gespannt sein, wie dieses Gesetzgebungsverfahren verläuft und wie sich die Regierungsfraktionen im Bundestag dazu verhalten werden.

Und dann ist da noch das Thema der Partizipation behinderter Menschen bei Entscheidungen, die ihre Belange betreffen. Der Partizipationsfonds soll für 2023 aufgestockt werden, das klang bereits in der Haushaltsdebatte zum Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales an. Das ist ein wichtiges Zeichen. Wie die Partizipation behinderter Menschen und ihrer Verbände gerade angesichts der anstehenden behindertenpolitischen Gesetzgebungsverfahren praktisch läuft, muss sich noch zeigen. Eine Reihe positiver Ansätze sind bereits vorhanden, aber hier gibt es Licht und Schatten. Vor allem bleibt zu beobachten, wie es die Bundestagsfraktionen mit der Beteiligung behinderter Menschen vor allem auch bei Anhörungen im Bundestag halten. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.

Knapp ein Jahr nach dem Start der rot-grün-gelben Regierungskoalition tut nun ein großer Sprung für eine menschenrechtsgeprägte Behindertenpolitik Not. Der am 3. Dezember anstehende Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen gibt der Sache hoffentlich einen entsprechenden Push. Denn behinderte Menschen wollen nicht nur barrierefrei in Bundesbehörden kommen, sondern im Alltag barrierefrei zum Bäcker, ins Kino, zu Ärzten oder in Restaurants kommen. Und behinderte Menschen müssen verbesserte inklusive Möglichkeiten für einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Exklusion in Sonderwelten war gestern!

Lesermeinungen

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Marion
29.11.2022 10:35

Der Verfasser dieses Textes hat wohl eines vergessen:
Denn behinderte Menschen wollen nicht nur barrierefrei in Bundesbehörden kommen, sondern im Alltag barrierefrei zum Bäcker, ins Kino, zu Ärzten oder in Restaurants kommen“ – Dafür ist die Bundesregierung nicht zuständig, sondern das ist Baurecht und somit Kommunal- und Landesrecht!!!!

Personal ist übrigens endlich und schon heute sin Politiker*innen so stark belastet, dass oft gegen das Arbeitsrecht verstoßen wird, indem der Arbeitstag über 10 Stunden hinaus geht.

Wie wäre es, anstatt zu fordern mal selber in die Politik gehen?